Vom Geist der Zeit | Die Meinungsseiten

Abschied von der FRANKFURTER RUNDSCHAU

Ein bitteres Ende nach 45 Abonnementsjahren

 

Zuletzt wurde es unerträglich: Wichtige politische Informationen erschienen frühestens ab Seite 3, auf die Titelseite schaffte es nur selten eine wichtige Meldung (als Vergleich dient mir „tagesschau.de“, die ich stündlich im Internet aufrufe). Die Ausgabe zum Weltfrauentag am 8. März signalisierte durch die lila Farbe ein Übermaß an Weltanschauung und ein Zuwenig an objektiver Berichterstattung. Der nicht hinnehmbaren Situation schwangerer Frauen im Gaza-Streifen wurde die Vergewaltigung israelischer Frauen durch Hamas-Terroristen nicht gegenübergestellt. Das eine Elend sollte das andere nicht entschuldigen. Aber beide Qualen hätten benannt werden müssen. Offensichtlich übte die FR den Schulterschluss mit UN-Organisationen, die ebenfalls unterschiedliche Maßstäbe anlegen.
 

Mein digitaler „Fehlerdetektiv“, eine Software, die im ePaper nach gegenderten Worten und Grammatikfehlern sucht und sie markiert, produzierte immer häufiger unlesbare Seiten. Meine Versuche, in Leserzuschriften darauf hinzuweisen, dass sich die Grammatik der in Jahrhunderten gewachsenen und sich in genuiner Weise verändert habenden deutschen Sprache in der Rechtschreibung wiederfinden muss, führten zu der Warnung, meine Briefe künftig noch nicht einmal mehr lesen zu wollen, geschweige denn sie abzudrucken. Dass ich mich auf anerkannte Wissenschaftler wie Peter Eisenberg, Roland Kaehlbrandt oder Eckhard Meineke berief, blieb unbeantwortet. Faktisch bedeutet diese Haltung eine Geringschätzung aller, die während der letzten 50 Jahre alles daran gesetzt haben, ein korrektes Deutsch zu lernen, es zu schreiben und zu sprechen.
 

Da ich selbst 42 aktive Berufsjahre in den Medien hinter mir habe und seither nur noch von Fall zu Fall zur (elektronischen) Feder greife, verfolge ich aufmerksam die Entwicklung in der Publizistik. Vor allem in linken und linksliberalen Blättern fiel mir auf, dass die Hinwendung zum Gendern überdurchschnittlich häufig verbunden ist mit einem Rückgriff in jenen unseligen Sprachschatz, den die Journalisten Sternberger, Storz und Süskind unmittelbar nach dem Ende des Dritten Reichs als „Wörterbuch des Unmenschen“ bezeichneten. Damit meinten sie die synthetischen Eingriffe der Nazi-Propaganda in die deutsche Sprache. Militärische Begriffe wurden zur Beschreibung von Alltäglichem benutzt, Vorbehalte gegenüber Fremden, vor allem Rassismus, wurden salonfähig und letztlich zur Norm. Den „Arbeitern der Stirn und der Faust“ wurden die „Kulturschaffenden“ an die Seite gestellt. Frauen galten nur etwas als „Mütter im Vaterland“. Letzterer Ungeist findet anscheinend eine stringente Fortsetzung im feministischen Anhängsel-Komplex, der sich in Formen wie *in/*innen offenbart. Doch die angeblich geschlechtergerechte Sprache erweist sich bei genauer Analyse als diffamierende Sprache. Ich erinnere an Formulierungen wie „alte weiße Männer“, eine typische Formel des fanatischen Feminismus. Überhaupt gibt es keine gerechten oder ungerechten Wörter. Die Bedeutung eines Satzes ergibt sich stets aus dem Kontext. Beispielsweise daraus, ob Recht oder Unrecht zur Sprache gebracht wird.
 

Das neue Zeitalter des Ungeists wurde von den Intellektuellen mitverursacht. Denn sie halten die gegenwärtige Pseudo-Moderne für eine historisch folgerichtige Epoche. Damit belegen sie den Vorwurf, missratene Kinder der deutschen Bildungskatastrophe zu sein. Wichtige Lebensbereiche haben sie rechtsradikalen Strömungen, insbesondere der AfD, ohne Widerstand ausgeliefert. Es ist ein Paradoxon, dass ausgerechnet die Rechte sich zum Bewahrer der deutschen Sprache hochstilisiert. Leute wie Weidel, Chrupalla oder Höcke wissen nicht, warum sie nicht gendern. Aber sie wissen, dass sie damit einer Mehrheitsmeinung folgen. Und sie begreifen, dass es diese zu instrumentalisieren gilt.
 

Ich blicke einmal zurück.
 

Während eines Urlaubs im September 1973 erstand ich die FR täglich am Kiosk. Sie imponierte mir besonders, weil sie den Militärputsch gegen den chilenischen Präsidenten Allende heftig verurteilte. Ganz im Gegensatz zur FAZ. In den folgenden fünf Jahren kaufte ich sie mir nahezu täglich an einem Bahnhofskiosk irgendwo in Deutschland, denn ich war damals viel unterwegs. Im Januar 1979 abonnierte ich sie.
 

Als die SPD sich aus der Herausgeberschaft verabschiedete, ärgerte ich mich. Dieser Rückzug passte zu anderen publizistischen Kapitulationen der Sozialdemokratie und ihrer politischen Freunde. Auch die angesehene Gewerkschaftszeitung „Welt der Arbeit“ wurde eingestellt, ebenso die „Frankfurter Hefte“. Die traditionelle gewerkschaftliche Buchgemeinschaft „Büchergilde Gutenberg“ war dem DGB das Geld nicht mehr wert. Die evangelische Kirche orientierte sich allem Anschein nach an den schlechten Vorbildern und stellte die Bezuschussung des „Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatts“ ein. Diese Wochenzeitung war einmal auflagenstärker und einflussreicher als „Die Zeit“. Der Kirche laufen seit dem Beginn des Jahrtausends nicht nur die Mitglieder allgemein weg, sondern vor allem die Gebildeten und Nachdenklichen.
 
Die Verkaufszahlen der FR sind im Verlauf der letzten zehn Jahre geschrumpft. Die Anzeigengemeinschaft „Rhein-Main-Media“ veröffentlicht längst keine Details mehr, also die Anteile von FR, Frankfurter Neue Presse, Offenbach Post und Frankfurter Allgemeine Zeitung. Das sind Anzeichen eines selbstverschuldeten Desasters. Wobei die FAZ noch die mit Abstand erfolgreichste Tageszeitung sein dürfte.
 

Ein Abschied nach über vier Jahrzehnten tut weh. Aber er war unausweichlich.

 

Klaus Philipp Mertens