Beim Gendern scheiden sich die Geister. Richtiger formuliert: Es trennen sich beim Sprachgebrauch kulturelles Bewusstsein und Nichtbewusstsein.
Ich gendere nicht. Keinesfalls, weil ich ein Konservativer, gar ein Reaktionär oder Faschist wäre. Nein. Ich arbeite seit über 50 Jahren in der Wissenschaftspublizistik (Rechts- und Sprachphilosophie, Theologie, Wissenschaftstheorie und vermag auch in der Literatur mitzuhalten). Dort gelten, wenn man ernst genommen werden will, sprachliche Standards, die u.a. das Gendern ausschließen. Bei Kolleginnen und Kollegen sowie bei den Lesern meiner Artikel gelte ich als modern, progressiv, linkshegelianisch und als erklärter Gegner der Neuen Rechten (AfD & Konsorten).
Die Frauen, welche ich im Beruf, in der Politik und bei meinem ehrenamtlichen Kulturengagement kennenlerne, wären beleidigt, würde ich sie als „*in“ bzw. „*innen“ bezeichnen. Denn sie möchten kein Anhängsel des alten Adams sein (siehe Genesis 2, Vers 23).
Verbot oder Einfordern der Sprachnorm?
Zunächst: Es gibt eine Rechtschreibung, die in Schulen, Hochschulen, Gerichten und Behörden verbindlich ist. Dennoch ist das sogenannte Gendern nicht verboten (wie dessen Anhänger beklagen). Die neuen Regeln in Hessen und Bayern könnten das nahelegen. Doch in Schleswig-Holstein, Sachsen-Anhalt und Sachsen gibt es solche bereits. Wie erwähnt, wird dort für Behörden, Gerichte, Schulen und Hochschulen ein korrektes Deutsch gemäß der amtlichen Regelung gefordert. Denn ohne einen einheitlichen Sprachcode wäre eine gesellschaftliche Kommunikation nicht möglich.
Das Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) schreibt das seit Mai 1976 für den öffentlichen Bereich sogar verbindlich vor. Im Paragrafen 23, Absatz 1, heißt es lapidar: „Die Amtssprache ist deutsch.“ In der (kostenpflichtigen) Datenbank der „Neuen Juristischen Wochenschrift - NJW“ (Verlag C. H. Beck, München) kann man sich ein Bild machen von diversen verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen, die in dieser Sache ergangen sind.
Rechtschreibreform
Die meisten Urteile kreisen um die 2006 endgültig in Kraft getretene Neuregelung der deutschen Rechtschreibung, in der die Grundsätze der Grammatik deutlicher wiedergegeben werden als zuvor, und deren Handhabung bei Behörden und in Schulen. Dieser Reform ging 2004 die Einsetzung des Rats für deutsche Rechtschreibung durch die zuständigen Stellen in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Liechtenstein voraus. Diese Länder sind die Partner eines internationalen Vertrags (!), dem auch Italien (für die autonome Region Bozen) und Belgien (für die deutschsprachige Minderheit in Ost-Belgien / Eupen – Malmedy - Sankt Vith) beigetreten sind. Luxemburg, wo Lëtzebuergesch, ein mosel-fränkischer Dialekt, gesprochen und Deutsch fast überall verstanden wird (neben Französisch), genießt in dem Gremium einen Gaststatus.
Der Rat für deutsche Rechtschreibung könnte hinsichtlich der Gender-Sonderzeichen keine Entscheidung treffen, ohne sich von sämtlichen Partnern das Einverständnis eingeholt zu haben. Andernfalls drohte eine Sprachspaltung.
Maßgeblich für Deutsch als Amtssprache ist das Regelwerk, das vom Rat für deutsche Rechtschreibung herausgegeben wird. Das entsprechende Regel- und Wörterverzeichnis ist im Narr Verlag, Tübingen, erschienen. Der „DUDEN Rechtschreibung“ als Referenzwörterbuch hatte bereits 1996, als die Rechtschreibreform begann, ausgedient.
Genuine Veränderung der Sprache
Zweifellos hat sich die deutsche Sprache im Verlauf der Jahrhunderte verändert. Es wurden Wörter aus anderen Kultursprachen übernommen, vor allem im Nachgang von Kriegen und Besatzungen durch fremde Truppen. Exemplarisch seien der pfälzische Erbfolgekrieg (1688–1697) sowie die Besetzung westrheinischer Gebiete durch die französische Revolutionsregierung und Napoleon genannt. Nach dem Zweiten Weltkrieg war es das amerikanische Englisch. Andererseits sind auch zahlreiche Wörter untergegangen. Regionale Dialekte (z.B. das Ruhrgebietsdeutsch und das Pfälzische) haben sowohl Niedergänge als auch Neubelebungen erfahren. In regelmäßigen Abständen halten Jugendsprachen Eingang ins Deutsche und verschwinden danach fast schneller als sie gekommen sind. Allen Übernahmen und Anpassungen war jedoch gemeinsam, dass sie in genuiner Weise erfolgten, also aus sich selbst heraus. Sie wurden nicht auf eine synthetische Weise aufgepfropft. Die innere Logik der Sprache, typisches Merkmal einer Kultur, blieb erhalten. Peter Eisenberg, langjähriger Nestor der Grammatikwissenschaft, hat das in seinem zweibändigen „Grundriss der deutschen Grammatik“ nachgewiesen.
Sprachlogik
Bertrand Russel und Alfred North Whitehead haben in ihren „Principia Mathematica“ sowohl die Wahrheit von Aussagen untersucht als auch die stabile innere Struktur von Kultursprachen, die von mathematischer Logik geprägt sind, nachgewiesen. Diese Logik hat niemand erfunden oder festgesetzt. Man kann sie lediglich als feste Systematik erkennen. Im Vordergrund stand das Englische. Russell, der perfekt Deutsch sprach und schrieb, wies diese geradezu axiomatischen Gesetze auch für das Deutsche nach. Der berühmte österreichische Mathematiker Kurt Gödel ist ihm darin gefolgt. Lediglich bei der Beschreibung von Mengen innerhalb der Aussagenlogik verfolgte er einen anderen Ansatz.
Sprachliche Aussagen lassen sich mit Hilfe von logischen Schlüssen (Gottlob Frege) verifizieren bzw. falsifizieren. Wendet man dieses Verfahren bei den Sonderzeichen (Asterisk, Doppelpunkt, Unterstrich) an, lautete die logische Schlussfolgerung: Nur wenn A dann B; umgekehrt: B wenn A. Während der dogmatische Feminismus einerseits die Autonomie der Frau behauptet (was ich für richtig halte), benutzt er andererseits und paradoxerweise Sonderzeichen, welche auf die Kondition „wenn – dann“ und folglich auf eine Abhängigkeit hinauslaufen. Aufgeklärte Frauen verstehen sich aber mehrheitlich nicht als Anhängsel.
Genus oder Sexus?
Zu der erwähnten Logik gehört auch der Unterschied von Genus (dem grammatischen Geschlecht) und Sexus (dem natürlichen Geschlecht). Typisch für die Logik der deutschen Sprache ist das genderneutrale Maskulinum, das Epikoinum. Es steht sowohl für das Männliche als auch für das Weibliche sowie für Transmenschen. Es ermöglicht eine hohe Abstraktion, was bei der Bildung einer maschinengerechten Sprache (zwecks Digitalisierung) wichtig ist. Die feministische Linguistik bestreitet das und setzt sich dabei über sprachwissenschaftliche Erkenntnisse und Standards hinweg. Erst unlängst attestierte der angesehene Sprachwissenschaftler Eckhard Meineke dieser Richtung ideologische Beweggründe (Studien zum genderneutralen Maskulinum, Heidelberg 2023).
In ihrer Beweisnot fordert die feministische Linguistik eine geschlechtergerechte Sprache, also die allgemeine Sichtbarmachung von Frauen, Männern und drittem Geschlecht. Dem steht jedoch der Geist der Grammatik entgegen. Denn der kennt keine ungerechten Wörter. Gerechtigkeit entsteht sprachlich erst im Kontext, wenn Wörter einen Sinn erhalten. Wer die Entrechtung von Frauen im Arbeitsleben und in der Familie beklagt, handelt gerecht, weil er Gerechtigkeit anmahnt. Wer diese Probleme verschweigt, leistet dem Ungerechten Vorschub. In der gesamten ernst zu nehmenden schöngeistigen Literatur wird nach diesem Prinzip verfahren. Wer Entrechtung in kunstvoller Weise zur Sprache bringt, ist ein Gerechter – oder eine Gerechte. Die bedeutendsten deutschen Schriftstellerinnen verfuhren so und nahmen gegenüber ihren männlichen Kollegen keine Kontraposition ein.
In diesen Zusammenhängen fällt die völlige Unkenntnis des fundamentalistischen Feminismus über ökonomische Strukturen auf. Die mangelhafte Gleichwertigkeit von Frauen, die in sämtlichen Berufen und auf allen Hierarchieebenen immer noch feststellbar ist, lässt sich nicht durch sprachliche Sonderzeichen beseitigen. Letztere werden von der Bevölkerungsmehrheit nicht akzeptiert, weil sie als ungelenk, unsprechbar und unlesbar empfunden werden. Die Selbst-Befreiung der Frauen kann nur durch einen ökonomisch-politischen Kampf erfolgen, der auch von Männern unterstützt wird.
Innerfeministische Kritik
Die US-amerikanische Feministin Claudia Koonz hat in ihrer Untersuchung „Mütter im Vaterland“, die 1991 auf Deutsch erschien, auf die Gefahren eines willkürlichen feministischen Begriffs- und Sprachwandels hingewiesen, wie er von Luise F. Pusch, Senta Trömel-Plötz und Marlis Hellinger seit den 1970er Jahren gefordert wird. Pusch entwarf sogar eine Neusprache.
Hieraus das Beispiel „Freundin“: Freundin sollte weiterhin für die weibliche Form gelten, Freundis für die männliche und Freundil für diverse Geschlechter. Der jeweilige Plural lautet Freundinne, Freundisse und Freundille.
Das erinnert sehr an Entwürfe von Goebbels Propagandaministerium. Mittels einer Sondersprache für „Untermenschen“ in Osteuropa, die als Arbeitssklaven gebraucht wurden, sollte die Kommunikation zu „Volksdeutschen“ erschwert werden.
Koonz warnte die deutschen Feministinnen davor, sich die Frauenpolitik des NS-Staats indirekt zum Vorbild zu nehmen. Damals sei die Rolle der Frau einerseits überbetont (siehe diverse Schriften der Reichsfrauenführerin Gertrud Scholtz-Klink), andererseits aber als abhängig vom Mann definiert worden. Frauen hätten Kinder zur Welt bringen sollen sowie Erziehungs- und Hausarbeit zu leisten gehabt. Der Mann wäre der Ernährer gewesen (als „Arbeiter der Stirn und der Faust“). Und er musste das Vaterland verteidigen; Letzteres beinhaltete auch den innerstaatlichen Unterdrückungsapparat.
Die Militarisierung der gesamten Gesellschaft schlug sich tatsächlich in dem Bestreben nieder, auch die Alltagssprache zu militarisieren, also Begriffe aus Bereichen der Armee zu übernehmen. Dazu bedurfte es einer allgemeinverbindlichen Sprachregelung, die weitgehend konträr zur traditionellen Grammatik angelegt war. Bis heute ist sie ein typisches Beispiel für willkürliche und synthetische Eingriffe in die deutsche Sprache.
Die Journalisten Dolf Sternberger, Gerhard Storz und Wilhelm E. Süskind haben das nach 1945 in ihrer kommentierten Dokumentation „Aus dem Wörterbuch des Unmenschen“ (Buchausgabe 1957) detailliert beschrieben. Einige Begrifflichkeiten des Unmenschen haben sich bis heute in den Medien gehalten, wie der mittlerweile emeritierte Kulturwissenschaftler und Medienexperte Horst Pöttker bereits 1978 in seiner Dissertation „Zum demokratischen Niveau des Inhalts überregionaler westdeutscher Tageszeitungen“ festgestellt hatte.
Im Übrigen fällt auf, dass bei den Grünen überwiegend gegendert wird und gehäuft Rückgriffe auf die Nazi-Sprache vorkommen. Sehr beliebt ist die toxische Wortschöpfung „Kulturschaffende“. Möglicherweise resultiert solches aus verfestigter Bildungsferne, was aber nicht weniger schlimm wäre.
Auch die „Hans-Böckler-Stiftung“ des DGB hat das Thema Frauenemanzipation und Feminismus unter dem Titel „Weibliche Differenz und NS-Geschlechterpolitik“ 1995 in eine Seminarreihe aufgenommen, ausführlich dokumentiert und dabei zur Vorsicht bei vermeintlich geschlechtergerechter Sprache gemahnt.
Gendern – ein Signal im Kampf gegen rechts?
Unter den Kritikern des Genderns befinden sich unbestreitbar viele Rechtsextremisten. Die AfD nutzt jede Gelegenheit, um auf den vermeintlichen Untergang der deutschen Sprache durch radikale Feministinnen hinzuweisen.
Als Wissenschaftsredakteur habe ich mich regelmäßig mit dieser Thematik beschäftigt. So verfolge ich seit dem Jahr 2000 die Aktivitäten des „Instituts für Staatspolitik“, das sich als Denkfabrik der Neuen Rechten versteht. Es gilt nach Auffassung des Verfassungsschutzes als „gesichert rechtsextrem“ und als verfassungsfeindlich. Gegründet wurde es von den hinlänglich bekannten Rechtsextremisten Götz Kubitschek und Karlheinz Weißmann, die dem Umfeld der Wochenzeitung „Junge Freiheit“ entstammen. Kubitschek gründete auch den Antaios Verlag, der neben zahlreichen völkischen Buchveröffentlichungen auch die Theoriezeitschrift „Sezession“ herausbringt. Kubitschek hat auf diesen Foren eine Strategie zur Unterstützung der AfD entwickelt. Deren Hauptansatz ist das Erkennen von Stimmungen, die von einer Bevölkerungsmehrheit geteilt werden. Diese sollen instrumentalisiert werden, indem sie in AfD-Programme einfließen.
Das sogenannte Gendern, also die Gleichsetzung von Genus und Sexus in der deutschen Sprache, stört über siebzig Prozent der Deutschen. Zum einen gefühlsmäßig (weil offiziell das Gegenteil gelehrt wird und es dadurch allgemeiner Sprachgebrauch geworden ist). Zum anderen protestiert ein kleinerer Teil innerhalb der Mehrheit aus wohl überlegten Gründen dagegen. Diese Bürger befürchten, dass die innere Logik der deutschen Sprache zur Disposition gestellt und ein Kulturkampf entfacht wird, der die Tendenz zur gesellschaftlichen Spaltung weiter anheizt.
Weil die AfD neben ihrer Stammklientel zusätzliche Teile der Bevölkerung erreichen will, macht sie sich zum Fürsprecher einer genderfreien Sprache. Bereits jetzt werden Gender-Kritiker von selbst ernannten Progressiven den ewig Gestrigen zugeordnet, die sich einer modernen und aufgeschlossenen Gesellschaft entgegenstellten. Vor allem Pseudo-Intellektuelle fallen auf diese Strategie herein. Nur wer mit den tieferen Details der deutschen Sprache vertraut und unabhängig von Mainstreams ist, traut sich zu widersprechen. Und hört nicht auf das Kläffen blau-brauner Dorfköter.
Klaus Philipp Mertens