Archiv "Vom Geist der Zeit" | Literatur und Kultur

Frankfurter Advents-Utopie

„Ich bin gekommen, dass ich ein Feuer anzünde auf Erden; was wollte ich lieber, es würde bereits brennen!" Aus dem Evangelium des Lukas.

Einsamer Weihnachtsbaum auf dem Frankfurter Römerberg (c) hr-hessenschau.de

 

Es ist Advent,
kein Lichtlein brennt.
Selbst vom Himmel strahlt kein Stern;
der Mond ist unsichtbar und fern.
Aus Bankentürmen dringt kein Schein,
still und behäbig fließt der Main.
Die Nacht ist finster, alles schweigt,
nur aus dem Bahnhofsviertel steigt
ein blauer Hauch von Sünde.
 

Es scheint ganz so, als stünde
Frankfurt vor einer Wende,
als wäre dies‘ Jahr der Advent
nicht Anfang, sondern Ende.
Ein Abgesang, ganz konsequent
auf Geld und Gier, Gewinn und Macht,
auf Lug und Trug und Niedertracht.
Und ebenso auf die Gestalten,
die Covid für ‘ne Lüge halten.

 

Sankt Nikolaus und Weihnachtsmann
wandeln der Zeit nicht mehr voran;
genießen ihren Ruhestand
in der Bar „Zum Pflasterstrand“.
Am Nachbartisch, bei Brot und Wein,
finden sich Büchner und Heine ein.
Zwar nur die Geister von denselben,
die mit dem Mut der alten Helden
vollenden woll’n, für das die stritten:
Ein neues Land mit neuen Sitten!
 

Sie dichten ein anderes Weihnachtslied
über „Friede den Hütten“ und „Krieg den Palästen“;
es klingt nach Agape statt nach Profit,
nach Revolution und rauschenden Festen.
Vorbei ist die Mär von Hölle und Himmel,
vorbei ist’s mit Christbaum und seichtem Gebimmel.
Jetzt geht’s um die Erde, um Frankfurt am Main,
dort soll man unsterblich und glücklich sein.
 

 

Klaus Philipp Mertens