Archiv "Vom Geist der Zeit" | Gesellschaft und Politik

Wo Sekundärtugenden wachsen

Die „Josefstadt“ Frankfurt am Main

© Initiative Mietentscheid

Im Leserforum der Frankfurter Rundschau vom 1. April findet sich eine Zuschrift, bei der nicht klar wird, ob es sich um einen Aprilscherz handeln könnte. Denn die Feststellung eines Lesers, dass „wir Frankfurter“ die OB-Wahl gewonnen hätten, trifft schon rein rechnerisch nicht zu. Die etwa 18 Prozent der Wahlberechtigten, die für Mike Josef stimmten, lassen kein Wir-Gefühl aufkommen. Und auch die SPD hat ihr übliches Potential bei weitem nicht ausschöpfen können, wie man am Ergebnis der ersten Wahlrunde ablesen kann. Ohne die Stimmen jener, die ursprünglich für die Kandidatin der Grünen votierten, wäre Josef nicht gewählt worden. Die einstige Öko-Partei, die in Frankfurt und Hessen in schwarzen Teichen fischt, wird dafür Forderungen anmelden. Folglich spricht vieles für einen Pyrrhus-Sieg der Sozialdemokratie.

 

Der Verfasser des Leserbriefs ist stolz darauf, einen „selbstherrlichen“ Oberbürgermeister, nämlich Peter Feldmann, abgewählt zu haben. Nach meiner Feststellung beurteilen das Frankfurter, die vergeblich nach bezahlbaren Wohnungen suchen, völlig anders. Ebenso solche, die dringend auf Kita-Plätze angewiesen sind, weil sie andernfalls ihre Arbeitsplätze verlieren. Auch die Initiativen gegen Fluglärm bewerten das politische Engagement von Peter Feldmann positiv.

 

Die postulierte Glaubwürdigkeit von Mike Josef hingegen gerät bei genauer Recherche schnell ins Wanken. Seine Behörde hat den „Mietentscheid“ ausgebremst, der die städtische ABG auf die ausschließliche Errichtung von bezahlbaren Mietwohnungen verpflichten wollte. Stattdessen setzen die Stadtplaner auf die Zersiedelung von Landschaft und die Preisgabe einer Frischluftschneise – siehe die projektierte „Josef-Stadt“ an der Autobahn A 5. Und einer der Finanziers der Abwahlkampagne ist ein bekannter Immobilienhändler.

 

Und was beabsichtigt der FR-Leser eigentlich mit der Betonung des Migrationshintergrunds von Mike Josef? Soll sich der künftige Oberbürgermeister tatsächlich über seine Herkunft definieren?

 

Völlig unberücksichtigt bleibt bei diesem unangebrachten Wohlfühlausbruch die Begründung für das Abwahlverfahren. Da für Peter Feldmann damals, im Juli 2022, und noch heute die Unschuldsvermutung und das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren gilt (Europäische Menschenrechtskonvention, Artikel 6, Absatz 2, die Teil der deutschen Rechtsordnung ist – siehe Grundgesetz Artikel 20, Absatz 3), wurden Abwahl und Neuwahl in verfassungsfeindlicher Absicht initiiert. Nach meiner Kenntnis wurden bereits außerhalb Hessens mehrere Beschwerden eingereicht; denn der hessischen Justiz misstraut man in demokratisch gesinnten Kreisen.

 

Klaus Philipp Mertens