Archiv "Vom Geist der Zeit" | Gesellschaft und Politik

Was wird aus der FRANKFURTER RUNDSCHAU?

Meldungen über schlechte redaktionelle Arbeitsbedingungen und Bezahlung verunsichern die Medienlandschaft im Rhein-Main-Gebiet

 

Während der Sprachphilosoph Ludwig Wittgenstein der gut begründeten Auffassung war, dass man über Tatsachen, über die man nichts weiß, schweigen sollte, gilt für freie Medien seit jeher eine Folgerung aus dieser Aussage. Sie wollen sich mit dem Nichtwissen nicht zufriedengeben, sondern Tatsachen mittels professioneller Recherche ans Licht bringen. Und sie sollen nichts verschweigen, was längst als Mutmaßung die Runde macht und entweder der Bestätigung oder der Richtigstellung bedarf.

 

Die Frankfurter Rundschau ist selbst zum Gegenstand journalistischer Spekulationen geworden. Nicht zum ersten Mal. Denn jeder Inhaberwechsel war faktisch auch ein inhaltlicher Richtungswechsel. Über fünf Jahrzehnte befanden sich Verlag und Druckerei im Eigentum der Gründerfamilie Gerold bzw. der gemeinnützigen Karl-Gerold-Stiftung. Doch seit der Jahrtausendwende machten sich die Strukturprobleme der Printmedien (Abonnentenrückgang, Rückgang der Anzeigenerlöse, notwendige Investitionen in digitale Redaktionstechnik sowie künftige Digitalversionen) deutlich bemerkbar. Man suchte nach neuen oder zusätzlichen Geldgebern.

 

Im Jahr 2004 erwarb die Medienholding der SPD, die „Deutsche Druck- und Verlagsgesellschaft“, eine Mehrheitsbeteiligung. Doch die Partei erkannte die Chancen nicht, die mit dem Erwerb des publizistischen Flaggschiffs verbunden waren. Der hätte sicherlich nicht in der Umwandlung zum Parteiblättchen bestanden. Aber in der intensiven Beteiligung am gesamtgesellschaftlichen Diskurs. Die Analphabetisierung der Politik hatte bereits eingesetzt und auch die Sozialdemokratie betroffen, vor allem den Vorstand und den Apparat, der vom Erbe der kurzen, aber nachhaltig unsozialen Schröder-Ära geprägt war. Die Pressefreiheit drohte auf der Strecke zu bleiben.

Am 16. Mai 2006 gab die Gesellschafterversammlung des Druck- und Verlagshauses Frankfurt bekannt, dass sie sich mit sofortiger Wirkung von Chefredakteur Wolfgang Storz trennen werde. Dem war ein Streit mit der autoritär handelnden Inge Wettig-Danielmeier vorangegangen, der SPD-Schatzmeisterin und Generaltreuhänderin für das Parteivermögen.

In diese Zeit fiel der Relaunch von Rubriken und Layout, der mit der Einführung des Tabloid-Formats im Mai 2007 endete. Die Maßnahme führte zunächst zur Steigerung der verkauften Auflage um 3.693 Exemplare, aber letztlich zum Abonnentenrückgang von 5035 Exemplaren. Rückblickend gewinnt man den Eindruck, dass sämtliche Veränderungen im Zusammenhang mit dem erneuten Gesellschafterwandel standen. Denn seit 2006 hatte das Verlagshaus Du Mont (Köln) mit seinen diversen Zeitungsbeteiligungen das Sagen. Zu viele Köche, sprich Redaktionen mit unterschiedlichen Qualitätsmaßstäben, verdarben den Brei, also das Angebot für die noch überwiegend aufgeklärten Leser. Alles deutete auf einen Konkurs hin, zu dem es 2012 auch kam.

Am 27. Februar 2013 erlaubte das Bundeskartellamt dem Verlag der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, die FR fortzuführen. Damit konnte die insolvente Tageszeitung weiter fortbestehen, es wurden aber nur 28 Redakteure übernommen. Die Großdruckerei der FR in Neu-Isenburg wurde zugunsten der Societätsdruckerei in Mörfelden-Walldorf geschlossen. Während der gemeinsamen Ära mit der FAZ war zumindest der einstige Qualitätsanspruch gesichert. Doch auch die Fazit-Stiftung, Mehrheitseigentümerin der FAZ, sah sich herausgefordert, sowohl den technischen Wandel als auch zu erwartende neue Ansprüche der Leserschaft umzusetzen.

 

So wurde mit Wirkung zum 1. April 2018 der 90-prozentige Anteil der Frankfurter Societät und der FAZ an der Frankfurter Rundschau GmbH an die Zeitungsholding Hessen von Dirk Ippen verkauft. Verkauft wurden ebenso die Frankfurter Neue Presse, die Societäts-Druckerei und die Vermarktungsgesellschaft RheinMainMedia.

Die Ippen-Mediengruppe setzt die bereits von DuMont praktizierte Karikatur einer Arbeitsteilung von höchst unterschiedlichen Blättern auf niedrigstem Qualitätsniveau fort. Und sie spart ebenfalls und noch mehr. Vor allem dort, wo Verlage niemals sparen dürfen, nämlich bei Journalisten, Redakteuren, Produktion und Vertrieb. Die Folgen sind für alle, nicht zuletzt für die Altabonnenten, feststellbar:

Die FR erlaubt sich längst nicht mehr auszusprechen, was andere aus politischen oder anderen weltanschaulichen Gründen verschweigen. Sie verschweigt gelegentlich auch das, was die Spatzen längst von den Dächern pfeifen. Das Ergebnis ist beunruhigend: Die Zeitung hat offensichtlich ihre einstige Selbstverpflichtung zur unabhängigen Publizistik ohne Not aufgegeben.

 

Für den Publizisten und Schriftsteller Erik Reger, der 1931 für seinen Tatsachenroman „Union der rechten Hand“ den Kleist – Preis erhielt (die höchste Literaturauszeichnung während der Weimarer Republik), war die Position, welche Schreibende einzunehmen hätten, eindeutig: Nämlich an der Seite der Beherrschten und nicht an der der Herrscher zu stehen. Die Sprache, gesprochen, geschrieben oder filmisch umgesetzt, war nach Regers Ansicht zur Gerechtigkeit verurteilt.

 

Dabei wissen wir, dass es per se keine gerechte Sprache gibt, dazu ist das Deutsche viel zu komplex angelegt. Die Intelligenten unter den Germanisten und Sprachwissenschaftlern lernen das, wenn sie sich im Rahmen des Studiums jenseits ausgetretener Pfade mit dem „Deutschen Wörterbuch“ beschäftigen, das die Brüder Grimm begründeten. Die meisten Grammatiktheorien fußen auf diesen Erkenntnissen. Vorrangig beim Leibniz-Institut für Deutsche Sprache in Mannheim (IDS), auch Sitz des Rats für deutsche Rechtschreibung, wird diese wissenschaftliche Tradition weitergepflegt. Prof. Gisela Zifonun („Das Deutsche als europäische Sprache“), die dort lange tätig war, warnte bereits 2018 vor einer Abschaffung des sogenannten generischen Maskulinums. Gemäß ihrer Definition bedeutet »generisch« Personenbezeichnungen mit grammatisch männlichem Geschlecht. Sie sagen jedoch nichts aus über das biologische Geschlecht. Ähnlich sieht das auch ihre Kollegin, die Linguistik-Professorin Angelika Wöllstein (u.a. Verfasserin des Standardwerks „Grammatiktheorie und Grammatikographie“ und Co-Autorin von „Grammatiktheorie und Empirie in der germanistischen Linguistik“). Das mag hinsichtlich der notwendigen Selbstbestimmung der Frauen als unbefriedigend empfunden werden. Doch Anhängsel wie *in und *innen sind es erst recht. Sie können zudem als immerwährende Unterordnung der Frauen interpretiert werden. Zudem bietet das Deutsche die Möglichkeit der Beidnennung (Damen und Herren, Lehrerinnen und Lehrer, Ärztinnen und Ärzte).

 

Ich bin zwischen 1987 und 1993 bei diversen Lehrgängen für journalistische und publizistische Quereinsteiger an der Akademie für Publizistik, die eng mit dem „Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt“ verbunden war (beide in Hamburg) und der Evangelischen Medienakademie (Frankfurt a.M.) darauf gestoßen worden. Dabei habe ich verinnerlicht, dass eine Sprache vielmehr darum bemüht sein müsse, der Gerechtigkeit bzw. einer gerechten Sache zu dienen. Sie müsse, vereinfacht gesagt, das Böse böse und das Gute gut nennen, ohne Schwarzweißmalerei zu betreiben. Und dabei auch formale Anforderungen wie die Trennung von Meldung, Kommentar oder Essay und die Abgrenzung zu PR und Werbung strikt einhalten. Orientiert haben wir uns an Emil Dovifats „Zeitungslehre“, die als das Standardwerk galt und bis heute wesentliche Anstöße für die Medien gibt.

 

Seit Thomas Kaspar im April 2020 alleiniger Chefredakteur der FR wurde (das Jahr zuvor war er neben Bascha Mika zweiter Chefredakteur), wird dort gegendert. Nicht von allen (die Kulturkennerin Judith von Sternburg tut es aus zu vermutenden Gründen nicht). Aber doch von vielen. Selbst Profis wie Pitt von Bebenburg haben sich dazu durchgerungen, was mir als peinliche Unterwerfungsgeste erscheint. Darunter verstehe ich im konkreten Fall die Reduktion sprachlicher und inhaltlicher Exaktheit zu Lasten objektiver Berichterstattung, Recherche, Genauigkeit und Kommentierung.

Vor allem jüngere Redakteurinnen und Redakteure des Ippen-Universums, zumeist ohne feste Verortung und vielfach mäßig bis schlecht bezahlt, sollen mit wenig Kenntnis und ohne nennenswerten Aufwand eine Zeitung machen, die einmal zu den Großen der demokratischen Presse in Deutschland zählte. Das kann nicht gelingen. Und die Parteinahme für radikal-feministische Positionen wie das Gendern mobilisiert eine Gefolgschaft, die man kaum noch loswerden kann und für die man sich in absehbarer Zeit schämen wird. Vorausgesetzt, dass die FR bis dahin nicht untergegangen ist.

 

Neben der nicht vollständigen Beherrschung der deutschen Sprache sind in der FR noch weitere Defizite auszumachen. So sind die ausführliche Berichterstattung einschließlich Hintergrundrecherchen und Kommentaren von den ersten Seiten in Richtung Mitte gewandert. An ihre Stelle treten Aufmacher, auf dem Titel plakativ angekündigt, die sich zwar wichtigen grundsätzlichen Fragen zuwenden (etwa Klimaveränderung, Krieg und Frieden, Sozialpolitik oder die Stellung der Frau), aber eher oberflächlich angerissen werden. Andere Tageszeitungen machen aus solchen Themen einen magazinähnlichen Mittelteil, wo ausreichend Platz ist für die umfassende Darstellung.

Der sachkundige Leser gewinnt den Eindruck, dass in der FR viel bewusst herausgestellte Dampfplauderei stattfindet – zu Lasten der Aktualität sowie der redaktionellen und inhaltlichen Vielfalt. Letztere zählen zu den vier Merkmalen einer Tageszeitung (neben allgemeiner Zugänglichkeit und regelmäßigem Erscheinen). In der Kampagne gegen den ehemaligen Frankfurter Oberbürgermeister Peter Feldmann ließ die FR Objektivität und juristische Sachkunde vermissen. Ja, die RheinMainMedia gewährte einem Unterstützer der Abwahl sogar 90 Prozent Rabatt für eine Hetzanzeige.

Fürwahr, wir leben in finsteren Zeiten (B.B.).

 

 

Klaus Philipp Mertens