Archiv "Vom Geist der Zeit" | Gesellschaft und Politik

Tun oder Lassen?

Regeln für den Alltag

Ein gedeihliches Miteinander der Menschen bedarf bestimmter Normen, die von allen akzeptiert und angewendet werden. Zusätzlich zu ethischen Standards halte ich dabei Kommunikationsregeln für unverzichtbar. Kommunikator und Kommunikant müssen sich identischer Zeichen bedienen, damit alles Gesagte und Geschriebene auch verstanden wird. Das bedeutet sowohl die Anwendung der deutschen Sprache gemäß dem amtlichen Regelwerk (für Behörden, Schulen, Hochschulen und Rechtspflege ist das laut § 23 des Verwaltungsverfahrensgesetzes ohnehin verbindlich) als auch den Verzicht auf willkürliche Eingriffe in die Sprache.

 

Letztere wurden insbesondere vom NS-Staat praktiziert, der Begriffe aus Militär und Vollzugsbehörden im Alltagsdeutsch verankern und das normale Leben dadurch militarisieren und entdemokratisieren wollte. Etwa durch Worte wie Einsatz, Frauenarbeit, Kulturschaffende, leistungsmäßig, querschießen, Sektor oder untragbar. Vokabeln aus diesem „Wörterbuch des Unmenschen“ (so bezeichneten es die Journalisten Dolf Sternberger, Gerhard Storz und Wilhelm E. Süskind nach dem Ende des Terrorregimes) tauchen mittlerweile überdurchschnittlich häufig in Texten von Anhängern des Genderns auf – Zufälle oder bereits Anzeichen eines Systemwandels?

 

Wenn Sprache zum ideologischen Aushängeschild wird, verliert sie ihre Bedeutungsfunktion und folglich ihre innere Logik. Die Welt wäre dann nicht mehr die Summe der Tatsachen, sondern deren unterschiedliche Interpretationen. Für die Programmierung artifizieller Intelligenz könnte das verhängnisvoll sein. Denn AI/KI benötigt Sprache im Sinn axiomatischer Aussagen.

 

Zur Willkür zähle ich auch die Abkürzungssucht, die in bildungsfernen Kreisen entstand und mittlerweile auch Bessergebildete erreicht hat. Typisch dafür ist die Bezeichnung „Perso“ als Kurzform für Personalausweis. Wenn ich dieses Wort höre, assoziiere ich „Perverso“, was im Ruhrgebiet (meiner Heimat) umgangssprachlich und in häufig diskriminierender Absicht einen vermeintlich Perversen meint.

 

Sprache kann zum Gift degenerieren, wenn sie sich keinen akzeptierten, in genuiner Weise verändernden Regeln unterwirft.

 

Regeln hingegen, die Konventionen in voneinander abgegrenzten sozialen Gruppen bezüglich Sitten, Moden und überkommenen Etiketten betreffen, hinterfrage ich und halte sie häufig für verzichtbar. Das kann Kleidung sein, vorrangig solche für die Freizeit (z.B. militärische Tarnkleidung), aber auch sogenannte Dresscodes bei Festen. Hier gelten für mich Zweckmäßigkeit und persönliche Selbstbestimmung.

 

Klaus Philipp Mertens