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Politische Justiz

Das Urteil gegen Peter Feldmann

Peter Feldmann nach der Urteilsverkündung © ARD

Peter Feldmann, Frankfurts abgewählter Oberbürgermeister, wurde von der Wirtschaftsstrafkammer des zuständigen Landgerichts wegen Vorteilsannahme in zwei Fällen zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen verurteilt. Da diese die Grenze von 90 Tagessätzen überschreiten, gilt er als vorbestraft, was den Verlust seiner Pensionsansprüche als Oberbürgermeister zur Folge haben dürfte. Noch ist das Urteil nicht rechtskräftig, denn eine Revision beim Bundesgerichtshof ist zugelassen. Ob Peter Feldmann davon Gebrauch macht, überlegt er derzeit.

 

Anhand der bislang veröffentlichten Kernsätze aus der Urteilsbegründung habe ich den Verdacht, dass es sich bei dieser Entscheidung um eine Rechtsbeugung handelt. Ich mache meine Bewertung an diesen Punkten fest:

 

Der Vorsitzende Richter der Wirtschaftsstrafkammer pflegte ein enges persönliches Verhältnis zu einem Oberstaatsanwalt, dem vorgeworfen wird, sich mit überteuerten Aufträgen für Justizgutachten persönlich bereichert zu haben. Der Schaden beläuft sich laut Transparency International Deutschland auf insgesamt mehr als zehn Millionen Euro. Davon habe der Staatsanwalt 280.000 Euro an Provisionen erhalten. Ein weiteres Geschmäckle hat der Umstand, dass der Richter mit der Pressesprecherin der Staatsanwaltschaft verheiratet ist. Also mit einer Vertreterin der Behörde, welche die Ermittlungen im Strafverfahren gegen Feldmann führte.

Während der Richter sämtliche Vorwürfe der Verteidigung wegen des Verdachts persönlicher Befangenheit bestritten hat und die Kammer des Landgerichts den Abberufsanträgen nicht folgte, erlaubt er sich Mutmaßungen über das Verhältnis von Zübeyde Feldmann und ihrem Partner und späteren Ehemann anzustellen.

Selten wurden die Persönlichkeitsrechte einer Frau so mit Füßen getreten wie in diesem Fall. Frau Feldmann wurde das Recht auf allgemeine Handlungsfreiheit, Privatautonomie und Vertragsfreiheit, wie sie das Grundgesetz und das BGB garantieren, aberkannt. Ob Feldmanns Partnerin fachlich den Anforderungen an eine Kita-Leiterin entsprochen hat und eine sofortige höhere Einstufung rechtfertigte, war ausschließlich zwischen AWO und ihr zu klären.

Zwar hat die Arbeiterwohlfahrt in Frankfurt und Wiesbaden vielfach Rahmenbedingungen definiert, die von der üblichen Tarifpraxis abwichen. Aber jeder Tarifvertrag, auch im öffentlichen Dienst, enthält Sonderregelungen. Als Frau Feldmann vor mehreren Wochen gegen ihre Kündigung vor dem Arbeitsgericht klagte, wurde die Gültigkeit ihres Vertrags nicht angezweifelt. Vielmehr war nur zu klären, ob ihr trotz dauernder Erkrankung eine Rückkehr in die Leitungsfunktion ermöglicht werden müsse (das muss der Arbeitgeber nicht).

 

Der Richter kanzelte Frau Feldmann in der Urteilsbegründung mit den Worten ab: „Mir kann keiner erzählen, dass es im Rhein-Main-Gebiet keine zweite Person gegeben hätte.“ Möglicherweise war der Mangel an klassifiziertem Kita-Personal in dem Umfeld, in dem er sich zeitweilig bewegte, nie ein Thema. Vermutlich gab man sich dort auch mit Dienstwagen der Klasse „Ford Focus“ nicht ab.

 

Neben der Ehrabschneidung zum Nachteil von Zübeyde Feldmann sind die gerichtlichen Scheinindizien aber auch ganz allgemein ein Angriff auf die Gleichberechtigung aller Frauen. Sollen sie künftig ihre Arbeitsverträge ihren Ehemännern zur Prüfung vorlegen und von ihnen abzeichnen lassen? Bis zum 30. Juni 1958 war das Fall. Einflussreiche Nazi-Juristen (darunter einer der Kronjuristen des Dritten Reichs, Carl Schmitt) hatten die Regelungen des NS-Staats in die neue Republik hinübergerettet. Zumindest so lange, bis das nicht mehr möglich war. Jetzt eröffnet ein Frankfurter Wirtschaftsstrafrichter plötzlich neue Perspektiven.

 

Juristisch delikat ist auch das Heranziehen einer so genannten stillschweigenden Unrechtsvereinbarung zwischen AWO-Geschäftsführerin und Peter Feldmann. Dieser sei mit Privilegien „angefüttert“ worden, um sich seine Unterstützung zu sichern. Beispielsweise beim Rückkehrrecht auf dessen früheren AWO-Posten. Wenn Bundestagsabgeordnete nach Beendigung ihres Mandats in ihre Anwalts- und Steuerberaterkanzleien problemlos zurückkehren, ruft das keine offiziellen juristischen Bedenken hervor. Ebenso löst die Rückkehr von Abgeordneten in ihre Führungspositionen in der Wirtschaft keinen rechtlichen Eklat aus. Nur das „kleine Würstchen“ (so AWO-Geschäftsführerin Hannelore Richter bei ihrer Zeugenvernehmung) Peter Feldmann darf das nicht.

 

Die Entscheidung des Landgerichts macht klar, dass die öffentliche soziale Hinrichtung eines Kleinbürgers, der sich als nicht mehr völlig anpassungswillig entpuppte, beabsichtigt war. Einer der Finanziers der Abwahlkampagne war ein bekannter Immobilienmakler. Im Gegensatz zu Peter Feldmann ist der Dienstherr der Nazi-Chatgruppen bei der Polizei, Innenminister Peter Beuth, nach wie vor im Amt. Auch die verfassungsfeindlichen Aktivitäten von Teilen des hessischen Verfassungsschutzes führten bislang nicht zu staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen.

 

In eine ähnliche Richtung stößt der Versuch, eine von Hannelore Richter initiierte Spende für Feldmanns Wahlkampf 2018 in den Kontext einer nicht nachgewiesenen „Unrechtsvereinbarung“ einzuordnen. Nach meinen Informationen sind entsprechend ausgewiesene Gelder an die SPD geflossen, deren Oberbürgermeisterkandidat Peter Feldmann war. Die Partei war anscheinend nicht Gegenstand von Ermittlungen. Vielleicht hat sie sich durch die Teilnahme an der Abwahlaktion „reingewaschen“.

 

In der Urteilsbegründung wird auch darauf verwiesen, dass die Lauterkeit der öffentlichen Verwaltung geschützt werden müsse. Und deswegen der Anschein von Käuflichkeit zu vermeiden sei. Die Hamburger Staatsanwaltschaft scheute sich in einem Vorermittlungsverfahren gegen die Warburg-Bank vor solchen Einschätzungen. Obwohl sich Hamburgs ehemaliger Erster Bürgermeister Olaf Scholz, der heutige Bundeskanzler, allem Anschein nach mit dem Chef der Warburg-Bank mehrfach getroffen hatte und dadurch tatsächlich den Eindruck hervorrief, korrumpierbar zu sein. Denn Warburg stand im Verdacht, in Cum-Ex-Geschäfte verwickelt zu sein. Die Bank schuldete dem Stadtstaat etwa 90 Millionen Euro, die Finanzbehörde gab sich jedoch mit 40 Millionen Euro zufrieden. Im Vergleich dazu erscheinen die 5.989 Euro, die Peter Feldmann als Wertersatz zahlen soll, als Peanuts. Und als Beleg dafür, dass die Justiz anscheinend nach wie vor Klassenjustiz ist.

 

Oberbürgermeister Peter Feldmann hat auf diverse SMS-Nachrichten von Hannelore Richter, in denen sie um Unterstützung von AWO-Projekten bat, nicht reagiert. Auf diese Weise hat er sich der Sache entzogen und dadurch deutlich gemacht, dass er weder verfügbar noch zuständig oder gar käuflich war. Eines Neins hätte es nicht bedurft. Zumal besitzen SMS, die sich nicht konkret auf Verträge und vertragsähnliche Absprachen beziehen, nicht den Charakter ernst zu nehmender Mitteilungen.

 

Formaljuristisch ist das Schweigen im Bürgerlichen Recht und Handelsrecht ein rechtliches Nullum, das keine Wirkung entfaltet. Ausgenommen sind Verträge, die keiner weiteren Zustimmung bedürfen. Im Verwaltungsrecht sind solche Regelungen nicht bekannt. Zumindest führte meine eingehende Recherche in der Datenbank der „Neuen Juristischen Wochenschrift NJW“ sowie in mehreren Handbüchern zum Verwaltungsrecht (z.B. „Ehlers/Plünder, Allgemeines Verwaltungsrecht“) nicht weiter. Denn die dort aufgeführten Kategorien verwaltungsrechtlicher Willenserklärungen tangieren weder die Vorschriften der hessischen Gemeindeordnung noch das Disziplinarrecht des Bundeslands, dem ein Oberbürgermeister bzw. eine Oberbürgermeisterin unterworfen sind.

Deswegen ist davon auszugehen, dass die im Urteil postulierte Lauterkeit zu jenen Konstruktionen zählt, die Staatsanwaltschaft und Gericht in ihrer „Lex Feldmann“ beliebig und willkürlich formulierten, um trotz fehlender Beweise Anklage und Verurteilung zu rechtfertigen.

 

Zur Wahrheit hingegen gehört, dass dem Mandat, das ein gewählter Oberbürgermeister oder eine gewählte Oberbürgermeisterin besitzen, durch den Wählerwillen eine besondere Dignität zukommt. Zum einen ist ausschließlich er oder sie gewählt, nicht aber seine Familie. Zum anderen sind die vor der Wahl verlautbarten politischen Absichten nicht mit der Bedienung von Einzelinteressen zu verwechseln. Die programmatischen Vorstellungen von Sozialverbänden oder Gewerkschaften sind keine Einzelinteressen, sondern Teile des Gemeinwohls.

 

Die Amtspflichten ergeben sich im Einzelnen aus der Hessischen Gemeindeordnung. Weder Staatsanwaltschaft noch Gericht haben den Nachweis von Dienstverstößen erbringen können. Der Vorwurf der lediglich vermuteten, aber nicht nachgewiesenen Käuflichkeit orientiert sich ausschließlich an den mutmaßlichen Begehrlichkeiten einer Person, konkret an den von Hannelore Richter. Darum erscheinen sämtliche Vorwürfe bei genauer Betrachtung als kalkulierte Rufschädigung durch die Rechtspflege. Viel tiefer kann ein nominell demokratisch verfasstes Gemeinwesen nicht sinken.

 

Klaus Philipp Mertens

 

Zuletzt aktualisiert am 26.12.22