Archiv "Vom Geist der Zeit" | Gesellschaft und Politik

„Ich habe einen Traum“

Martin Luther Kings Rede gegen Rassismus und Diskriminierung, die im unveränderten Wortlaut ertragen werden sollte.

Historisches Foto, gefunden im Online-Archiv des WDR

Im Zusammenhang mit Boris Palmers unerträglicher Bemerkung, die er unlängst in der Frankfurter Goethe-Universität am Rande einer Veranstaltung des Forschungszentrums „Globaler Islam“ äußerte, erinnerte die „Frankfurter Rundschau“ an einen Eklat aus dem Vorjahr, der sich in einer Offenbacher Schule ereignete. An der Frage, ob aus heutiger Sicht diskriminierende Wörter in historischen Texten unverändert vorgetragen werden sollten, entzündete sich eine heftige Kontroverse. Konkret ging es um die berühmte Rede Martin Luther Kings, die im Ethikunterricht besprochen wurde. Und zwar an einer Schule, die mit dem Integrationspreis „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ ausgezeichnet worden war. Eine Schülerin verweigerte das Vorlesen des sogenannten „N-Worts“. Ihre Lehrerin akzeptierte das nicht und forderte sie mehrmals vergeblich zum Lesen des Originaltexts auf. Ihr wurde daraufhin von Mitschülern, der Stadtverordneten Hibba Kauser (SPD), dem Kinder- und Jugendparlament und dem Stadt-Schüler- und Schülerinnenrat Rassismus vorgeworfen.

 

Zum historischen Sachverhalt:

 

Am 28. August 1963 folgten etwa 200 000 Menschen dem Aufruf „Marsch auf Washington für Arbeit und Frieden“ und versammelten sich auf dem Platz vor dem Lincoln Memorial in Washington, DC. Sie demonstrierten gegen Diskriminierung und Ungleichbehandlung der Rassen. Der Begriff Rasse ist dabei als soziales Konstrukt zu verstehen, nicht als biologischer Fakt. Wissenschaftlich gibt es für die Einteilung von Menschen in verschiedene Rassen keine Grundlage.

 

Die Rede Martin Luther Kings stellte einen Höhepunkt der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung dar und schrieb sich in das kollektive Gedächtnis ein. Als letzter einer Vielzahl von Rednern trat King an das Mikrofon. Ohne gegen die weiße Bevölkerung Stimmung zu machen, trug er seine Zukunftsvision vor. „Ich habe einen Traum, dass eines Tages die Söhne von früheren Sklaven und die Söhne von früheren Sklavenbesitzern auf den roten Hügeln von Georgia sich am Tisch der Brüderschaft niedersetzen können. [...] Ich habe einen Traum, dass meine vier kleinen Kinder eines Tages in einer Nation leben werden, in der sie nicht wegen der Farbe ihrer Haut, sondern nach dem Wesen ihres Charakters beurteilt werden. Ich habe einen Traum.“ Zehnmal benutzte er in seiner Rede das Wort „Negro“. Es ist eine Anklage, wenn er sagt: „100 Jahre später ist das Leben des Negro leider immer noch von den Handfesseln der Rassentrennung und Diskriminierung eingeschränkt. 100 Jahre später lebt der Negro immer noch auf einer einsamen Insel der Armut in der Mitte eines weiten, weiten Ozeans des materiellen Wohlstands.“

 

Wir haben kein Recht Wörter, weil sie Rassismus und Diskriminierung verdeutlichen, aus einer historischen Rede zu tilgen oder zu umschreiben, um sie nicht vortragen zu müssen.

 

Juliane Schätze