Archiv "Vom Geist der Zeit" | Gesellschaft und Politik

Gefährliche Fantasien eines Berufsvertriebenen

Palästinenserchef Abbas demontiert sich in Berlin selbst

Pressekonferenz Abbas & Scholz in Berlin © ARD

Form und Inhalt einer Kommunikation offenbaren die Haltung der daran Beteiligten. Die Aussage des Präsidenten der palästinensischen Verwaltungsbehörde, dass Israel seit seiner Gründung 50 Holocausts an Palästinensern verübt habe, war nicht zuletzt ein Affront gegen seinen deutschen Gastgeber, der mit der historischen Schuld der Deutschen leben muss. Deswegen, aber auch wegen der historischen Wahrheit, kann Abbas‘ Geschichtsklitterung weder als Tatsachenbehauptung noch als Meinung durchgehen. Vielmehr ist sie Ausdruck einer primitiven Ideologie. Sie dient der Machterhaltung einer Clique in Ramallah, Gaza, Teheran und anderswo und deren Instrumentalisierung des palästinensischen Volkes. Dabei ist es unerheblich, ob der Staat Israel von klugen Politikern regiert wird oder von Hasardeuren, die zu kritisieren sind. Er ist demokratisch verfasst, Abgeordnete und Regierungen können abgewählt werden (und werden es) und er bietet Juden nach dem Holocaust einen sicheren Ort. Diese Dignität wiegt schwer. Erst recht in Deutschland.
 

Bundeskanzler Olaf Scholz hätte nicht nur durch zerknirschte Mimik sofort reagieren müssen, sondern auch mit klaren Worten. Etwa: „Herr Präsident Abbas, mit solchen Phrasen diskreditieren Sie sowohl Israel als auch alle Palästinenser. Und sie verharmlosen die Verbrechen des NS-Staats. Damit werfen Sie die Bemühungen für einen autonomen Staat Palästina um Jahrzehnte zurück und Sie verraten Ihr Volk. Deutschland wird solche Verlogenheiten nicht hinnehmen.“

 

Da Olaf Scholz durchaus schlagfertig sein kann, nicht selten seine Zuhörer mit kryptischen Wortwendungen überrascht, stellt sich die Frage, ob er konfliktscheu ist. Seine relative Passivität gegenüber dem Widerling Putin legt diese Vermutung nahe. Ich stelle mir vor, wie Herbert Wehner auf den Bruch des Gasliefervertrags reagiert hätte. „Düffeldoffel“ (ursprünglich Helmut Kohl zugedacht) wäre mutmaßlich noch das harmloseste Etikett für Putin gewesen, „Führer der Russenmafia“ das wahrscheinlichste. Herbert Wehner hätte Abbas möglicherweise einen „Berufsvertriebenen ohne Land und Leute“ genannt, was treffsicher gewesen wäre.

 

Von Kanzlern bzw. Kanzlerinnen der Bundesrepublik Deutschland erwarte ich, dass sie jederzeit gemäß ihres Auftrags wahrnehmbar handeln. Mutig, ohne diplomatische Scheuklappen und sich dabei offener und klarer Worte bedienen.

 

"Das kritische Tagebuch" führte Klaus Philipp Mertens