Archiv "Vom Geist der Zeit" | Gesellschaft und Politik

Frankfurter Erklärung für Solidarität und Zusammenhalt in der Coronakrise

Gut gemeint, aber schlecht umgesetzt

Symbol und Aufmacher der Frankfurter Erklärung © dgb-frankfurt.de

Sie wollen eine klare Position gegen rechts beziehen.Und Impfgegnern sowie Coronaleugnern allgemein die Grenzen aufzeigen. Doch sie scheitern an belasteter Sprache und an inhaltlich falsch gesetzten Prioritäten. Denn die Initiatoren „gendern“ und bedienen sich dabei direkt und indirekt Symbolen und synthetischen Sprachformen aus dem „Wörterbuch des Unmenschen“ - also der „Lingua Tertii Imperii“. Mit dem einzigen Unterschied, dass anstatt der Y-Rune (Zeichen der „NS-Frauenschaft“) zwischen vermeintlich männlicher und beabsichtigter weiblicher Form ein Asterisk eingefügt wird, was die Sache nicht besser macht und das eigentliche Anliegen desavouiert.

Hätten sie in ihrer „Erklärung“ auf das Gendern verzichtet (weil es an die Versuche der Nazis erinnert, die Deutungshoheit über Sprache zu erlangen sowie deren Instrumentalisierung voranzutreiben), so wären nach meiner Kenntnis viele dazu bereit gewesen, den Aufruf zu unterstützten.
 

Allerdings gibt aus es dem Kreis der Nachdenklichen auch gravierende inhaltliche Vorbehalte:
 

Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland erklärt die Würde des Menschen für ein unveräußerliches Grundrecht. Und versteht darunter, wie man den Großkommentaren zum GG (Bonner Kommentar; Dürig/Herzog/Scholz; Mangoldt/Klein/Starck) entnehmen kann, den Wert, der jedem Menschen – unabhängig von Herkunft, Geschlecht, Alter oder gesellschaftlichem Status - zukommt. Das Grundrecht wird von Juristen abstrahierend als „Objektformel“ bezeichnet, was der Rechtsgelehrte Christian Starck so erläutert: „Artikel 1, Absatz 1, verhindert, dass der Mensch durch den Staat oder durch seine Mitbürger als bloßes Objekt, das unter vollständiger Verfügung eines anderen Menschen steht, als Nummer eines Kollektivs, als Rädchen im Räderwerk behandelt und dass ihm damit jede eigene geistig-moralische oder gar physische Existenz genommen wird.“
 

Diese rechtsphilosophische Norm geht vor allem auf Immanuel Kant zurück. Er hat den Menschen als „Zweck an sich“ bezeichnet (in seiner „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten“). Als Elemente dieser menschlichen Achtung und Selbstachtung nennt er
 

die Achtung vor dem anderen,
die Anerkenntnis seines Rechts zu existieren,
die Anerkenntnis einer prinzipiellen Gleichwertigkeit des Menschen.
 

Der Schutz der physischen Existenz (also der von Leib und Leben) ist also die praktische Folge der geistig-moralischen Zustimmung der Bevölkerung in einem demokratisch verfassten Staat, der die Menschenrechte uneingeschränkt anerkennt und einlöst.
 

Die Schutzmaßnahmen gegen das Sars-Cov-2-Virus zielen ab auf eine spürbare Reduktion der Ansteckungsgefahr, auf einen allenfalls milden Verlauf und insbesondere auf den Ausschluss von schwerer Erkrankung und Tod. Und sie sollen das öffentliche Gesundheitswesen vor einem Kollaps bewahren; denn überlastete Intensivstationen betreffen auch Menschen, die beispielsweise von einem Herzinfarkt, einem Schlaganfall oder einer Krebserkrankungen betroffen sind. Kurzum: Es geht um den Schutz von Gesundheit und Leben und der dazu notwendigen infrastrukturellen Daseinsvorsorge.
 

Coronaleugner und Impfgegner hingegen stellen diese Rechte in Frage. Sie propagieren ein Recht des („rassisch“) Stärkeren und die vermeintlichen Selbstheilungskräfte der Natur. Wer an Covid-19 erkrankt, gar daran stirbt, ist bzw. war des Lebens nicht (mehr) wert.
 

Darum müsste das Recht auf Gesundheit und Leben und der Kampf gegen die Feinde des Lebens jeden demokratischen Protest einleiten. Dann wäre er ein folgerichtiges und sichtbares Zeichen für das solidarische Miteinander. Aus diesen Forderungen ließe sich in Konsequenz auch der Widerstand gegen Antisemitismus sowie gegen die Verharmlosung und Instrumentalisierung des Holocaust ableiten.
 

Es erscheint mir als geradezu dilettantisch, im Kontext von Querdenkern & Co. Rechtsgüter wie Meinungsfreiheit zu erörtern. Am Beispiel der AfD lässt sich längst nachweisen, dass Gesprächsversuche mit Leuten, die sich wie geifernde und kläffende Dorfköter gebärden, zu nichts führen.
 

Somit setzt die „Frankfurter Erklärung“ leider falsche Schwerpunkte.
 

Info:

Meine Position gegen das sogenannte Gendern beruhen neben eigenen Untersuchungen auf den folgenden Veröffentlichungen:
Sprachwissenschaftliches Gutachten des „Rats für Rechtschreibung“, 26.03.2021.
Dolf Sternberger / Gerhard Storz / Wilhelm E. Süskind: Aus dem Wörterbuch des Unmenschen; in der Zeitschrift „Die Wandlung“, 1945 - 1947, Buchausgabe 1957.
Victor Klemperer: LTI. Notizbuch eines Philologen; Halle a. d. S. 1946; diverse Neuauflagen.
Gertrud Scholz-Klink: Verpflichtung und Aufgabe der Frau im nationalsozialistischen Staat, München 1936.
Gertrud Scholz-Klink: Die Frau im Dritten Reich, Tübingen 1978.
(G. Sch.-K. war „Reichsfrauenführerin“)