Grundsätzlich gilt für mich: Wer sich um das Amt des Bundeskanzlers bzw. der Bundeskanzlerin bewirbt, sollte sich weder über sein Geschlecht, seine sexuelle Orientierung, seine Hautfarbe, seine Ethnie noch sein Alter definieren.
Vom Chef (oder der Chefin) der Bundesregierung erwarte ich die Fähigkeit, zwischen Gesinnungs- und Verantwortungsethik (im Sinn des Soziologen Max Weber) unterscheiden zu können. Dazu bedarf es einer umfassenden Allgemeinbildung sowie der perfekten Beherrschung der deutschen Sprache und der Fähigkeit zum analytischen Denken (folglich wären Genderer chancenlos). Eine erkennbare Nähe zur Kultur ist unerlässlich. Wegen der besonderen Beziehung zu Frankreich sollte er / sie gut Französisch sprechen.
Eine religiöse Überzeugung dürfte ausschließlich im Privaten gelebt werden. Von Kanzlerkandidaten erwarte ich berufliche Vorabqualifikationen, die zu einem nennenswerten Teil außerhalb von Politik und Staatsapparat erbracht wurden.
Der Bundeskanzler (die Bundeskanzlerin) sollte einen klaren politischen Standpunkt innerhalb des demokratischen Spektrums vertreten, aber dazu bereit sein, diesen gegebenenfalls zur Disposition zu stellen, folglich offen zu sein für Neues. Er (sie) muss aufgeschlossen sein gegenüber jedermann, aber auf Distanz gehen zu Bildungsfernen, Schlechtinformierten, Demokratiegegnern und Fanatikern.
In der Vergangenheit fand ich Politiker wie den ehemaligen Bundestagspräsidenten Norbert Lammert oder den langjährigen NRW-Ministerpräsidenten und späteren Bundespräsidenten Johannes Rau als kanzlertauglich.
Olaf Scholz hingegen ist in sein Amt noch nicht hineingewachsen (wer die FDP am Kabinettstisch hat, muss mit der Peitsche regieren).
Friedrich Merz erfüllt nahezu sämtliche meiner Vorurteile gegenüber einem Sauerländer: klerikal-katholisch, hinterwäldlerisch, autoritär, aus der Zeit gefallen.
Markus Söder erscheint mir als Mann ohne Eigenschaften, weil er ständig neue Identitäten annimmt.
Mit Hendrik Wüst assoziiere ich einen karrierebewussten Politiker, der noch an sich arbeiten muss. Insbesondere müsste er sein Verhältnis zu Lobby-Organisationen klären.
Daniel Günther verbindet einen progressiven Konservatismus mit der Fähigkeit, sich Neuem öffnen und frühere Meinungen korrigieren zu können. Er regiert Schleswig-Holstein relativ geräuschlos und effizient. Er könnte ein Garant für die Zukunftsfähigkeit der CDU sein.
Robert Habeck vereinigt in seiner Biografie Reformstreben und Entschlossenheit. Dabei erweist sich seine Partei regelmäßig als Bremsklotz, da sie vielfach ideologisch aufgestellt ist (z.B. das Radfahren als Allheilmittel in der Verkehrswende propagiert) und im Organisatorischen dilettiert (z.B. mangelhafte Information über Energie und Wärme). Habeck besäße dann Erfolgsaussichten, wenn er ähnlich wie Dietmar Woidke operieren würde, nämlich seine Partei in den Hintergrund drängte.
Klaus Philipp Mertens