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Instrumentalisierung als politisches Kampfmittel

Rechtsextremisten gründen jüdische Gemeinden, protestieren gegen das Gendern und erklären Widerstandskämpfer gegen den NS-Staat zu ihren Verbündeten.

 

Das NDR-Magazin „Panorama“ stieß bei Recherchen über die „Reichsbürger“-Szene auf angeblich jüdische Gemeinden, die von dieser verfassungsfeindlichen Organisation gegründet wurden. Aktuell stehen vier solcher „Gemeinden“ in den Vereinsregistern.

Die Redaktion fand auch einen angeblichen Oberrabbiner. Es handelt sich um Iwan Götz, der in der Nähe von Parchim (Mecklenburg-Vorpommern) lebt. Er ist als Sympathisant der „Reichsbürger“ bekannt. Mehrfach musste er sich wegen Volksverhetzung vor Gerichten verantworten. In dem Interview, das „Panorama“ mit ihm führte, gab er zu, sich selbst zum Oberrabbiner ernannt zu haben. Er sähe sich als Vertreter des „wahren Judentums“, denn in Deutschland gäbe es ansonsten nur Zionisten. Diese hätten den Nationalsozialismus unterstützt, Hitler sei von diesen Juden finanziert worden.

In Sachsen haben „Reichsbürger“ den Namen und das Logo der historischen Bautzener Gemeinde benutzt. Nach Einschätzung von Nora Goldenbogen, der Vorsitzenden des Landesverbands Sachsen der jüdischen Gemeinden, gebrauchen diese Kreise das Judentum als Tarnung und Schutzschild für ihre antisemitische Propaganda. Außerdem bemühten sie sich um staatliche Fördergelder.

Auch dem „Zentralrat der Juden in Deutschland“ sind einige dieser Fälle bekannt. Ein Sprecher äußerte gegenüber „Panorama“: „Die Verschleierung der wahren Absichten dieser Gruppen aus dem »Reichsbürger«-Milieu ist gesamtgesellschaftlich gefährlich". In einigen Fällen sei der Zentralrat „juristisch gegen einige Protagonisten vorgegangen".

Grundsätzlich ist der Begriff "Jüdische Gemeinde" rechtlich jedoch nicht geschützt. Auch bei den Vereinsregistern gibt es in der Regel keine Überprüfung, ob hinter den Vereinen tatsächliche jüdische Einrichtungen stehen.

 

 

Das Institut für Staatspolitik (IfS), eine sogenannte Denkfabrik der Neuen Rechten mit Sitz in Schnellroda (Sachsen-Anhalt), empfahl bereits vor mehreren Jahren seiner Klientel (AfD, Identitäre, Pegida), bekannte Widerstandskämpfer gegen den NS-Staat für sich als Vorbilder zu reklamieren. Etwa die Geschwister Scholl und Pfarrer Dietrich Bonhoeffer. Selbst Anne Frank, Opfer des NS-Rassismus, musste für populistischen Anti-Islamismus herhalten. Initiator des im Jahr 2000 gegründeten IfS ist Götz Kubitschek, der auch Herausgeber der völkischen Zeitschrift „Sezession“ und Verleger des Antaios Verlags ist. Seit 2021 wird der Verlag vom Bundesamt für Verfassungsschutz als Verdachtsfall für Rechtsextremismus beobachtet.

Seither kursieren Fotomontagen wie „Sophie & Hans wären bei uns“, „Es ist wieder so weit: Die Weisse Rose 2“, „Das Gesetz ändert sich. Das Gewissen nicht. Sophie Scholl“ oder „Dietrich Bonhoeffer, damals Volkszersetzung, heute Volksverhetzung“.

Es ist eine infame Propaganda, welche die Opfer der Nazi-Gewaltherrschaft zu Verbündeten des AfD-Extremismus erklärt. Sie richtet sich an schlecht informierte Bürger und soll die AfD zur demokratischen Partei erklären.

 

 

Die Kritik am sogenannten Gendern, das sowohl von einer Bevölkerungsmehrheit als auch vom Rat für deutsche Rechtschreibung abgelehnt wird, findet auch durch die AfD Unterstützung. Allerdings wird gegen diesen Sprachgebrauch lediglich populistisch argumentiert. Denn die seriösen Vorbehalte, die zuletzt in dem Buch des namhaften Sprachwissenschaftlers Eckhard Meineke linguistisch sauber vorgetragen wurden, überfordern das intellektuelle Fassungsvermögen der AfD und anderer Bildungsferner.

 

Die Intelligenten unter den Verächtern des Genderns verweisen auf das seit Jahrhunderten genderneutrale Maskulinum. Sie gehen von einem Epikoinon aus, das ungeachtet seines maskulinen, femininen oder neutralen Genus Personen aller Geschlechter bezeichnet (beispielsweise ‚der Mensch‘, ‚die Koryphäe‘, ‚das Genie‘). Seine Bedeutung sei nachweislich sexusindifferent. Vor diesem Hintergrund wird die feministisch-fundamentalistische Argumentation methodisch analysiert und auf ihre ideologischen Grundlagen zurückgeführt. Die vermeintlichen Modernisierer der Sprache, denen es vorgeblich um Geschlechtergerechtigkeit geht (die semantisch nur durch den Kontext herbeigeführt werden kann), erweisen sich als Ideologen und Befürworter willkürlicher Eingriffe in die Sprache.

 

Eigentlich müssten AfD und andere völkisch Gesinnte auf „Teufel komm raus“ gendern. Denn Anhängsel wie „*in“ und „*innen“ entspricht einem überholten Rollenverständnis, das Frauen vor allem von Konservativen und Reaktionären zugesprochen wird. Frauen definieren sich danach stets über den Mann. In Luthers Übersetzung der Schöpfungslegende heißt es „Man wird sie Mannin nennen, weil sie vom Manne genommen ist“ (aus seiner Rippe geformt wurde). Im Dritten Reich war die Stellung der Frau ähnlich festgeschrieben: Nämlich als „Mutter im Vaterland“.

 

Bildungsbürgertum und Intellektuelle könnten durch Verzicht auf das umstrittene Gendern der AfD und deren Gleichgesinnten die Faszination und Attraktivität nehmen. Aber die Bildungsferne herrscht allem Anschein nach nicht nur bei Blau-Braunen, sondern auch bei gemäßigt Schwarzen, Roten und Grünen.

 

 

Klaus Philipp Mertens